Für Mannheim im Landtag

Dr. Stefan Fulst-Blei

Rede AWO-Neujahrsempfang Otto-Bauder-Haus

Veröffentlicht am 12.01.2018 in Reden/Artikel
 

Was ist eigentlich los in unserem Land? 

Nein, mir geht es heute nicht wirtschaftliche oder sozialpolitische Schieflagen. Mir geht es nicht um die Frage, wie wir bei den aktuellen Rekorden der deutschen Wirtschaft und der niedrigsten Arbeitslosigkeit seit 1990 in unserer Stadt zu mehr Verteilungsgerechtigkeit kommen. Mir geht es auch nicht um Themen wie Bildungsgerechtigkeit oder digitale Zukunft. Alles sehr wichtige Themen und mir würde noch viel mehr einfallen. Nein, diese Themen befassen unser Land seit seiner Neugründung 1949 und wurden immer wieder mit verschiedenen Antworten versehen. Was mich als Bürger meiner Stadt aber in den letzten Monaten immer mehr bewegt, ist die Frage, was ist eigentlich passiert mit unserer menschlichen Alltagskultur? Warum habe ich eigentlich zunehmend das Gefühl, dass ich mich permanent gefasst sein muss, von irgendeiner Seite „angepampt“, „behupt“ oder „be-gestikuliert“ zu werden. Sicher: Deutschland war noch nie ein Land der zuvorkommenden Höflichkeit. Als ich 1995 nach sieben Monaten von meinem Studium in Irland zurückgekommen bin, hat es gerade mal 20 Minuten gedauert, bis mich ein deutscher Funktionsträger im recht unhöflichen Ton angepflaumt hatte. Mein erster Gedanke war: „Du bist wieder zuhause.“ In der Tat war eine der ersten Sache, die meinem Sohn aufgefallen ist als er im September sein Auslandsjahr in den USA angefangen hat, die Höflichkeit im Alltag, die ihm immer wieder begegnet. Natürlich kann man durchaus die Frage stellen, wie oberflächlich diese Höflichkeit ist. Man wird dort ja auch höflich und mit einem Lächeln entlassen. Etwas, was manche Spitzenkräfte auch der deutschen Wirtschaft gelernt haben. So wurde mir dies zumindest von der letzten Betriebsversammlung bei General Electrics, früher Alstom früher BBC berichtet. Aber wie sagte mein Sohn: Wenn ich die Wahl habe zwischen oberflächlicher Höflichkeit und oberflächlicher Unhöflichkeit, ziehe ich erste vor. Ich habe im Oktober in Seckenheim einen Vortrag mal nicht zur Bildungspolitik o.ä., sondern zum Zustand der Demokratie halten dürfen. Ich habe der Veranstaltung bewusst den provokativen Titel „Von Staatsbürgern und Rotzbürgern“ gegeben. Was ich über die letzten Jahre wahrgenommen habe ist tatsächlich eine zunehmende Verrohung im politischen Diskurs. Dabei geht es nicht darum, seine Meinung zu äußern. Was aber auffällt ist, dass der Stil immer rauer wird. Man kann für oder gegen die Stadtbahn Nord sein. Man kann für oder gegen die Buga sein. Aber muss man deswegen die Anderen anschreien? Muss man deswegen zu Beleidigungen greifen? Nein, muss man nicht. Und tatsächlich kann trotzdem etwas im demokratischen System verändert werden. Nach den Verfehlungen zu Stuttgart 21 wurde die alte Landesregierung abgewählt. Fehlentscheidungen wurden demokratisch sanktioniert. Andere umstrittene Mehrheitsentscheidungen wie die Stadtbahn Nord erweisen sich wiederum im Nachhinein als richtig. Dies zeigen die aktuellen Fahrgastzahlen. Die Bahn ist akzeptiert und wird genutzt. Vor gut sieben Jahre aber noch wurden Verwaltungsvertreter, die die Hintergründe des Projektes im Stadthaus N1 sachlich dargestellt haben, angeschrien und beleidigt. Nicht Politiker, die manches gewöhnt sind. Beamte wurden angeschrien. Ich glaube nicht, dass einer der Schreihälse jetzt, nachdem die Bahn gut angenommen wird, einmal in der Verwaltung angerufen hat und sich für die Ausfälligkeiten entschuldigt hat. Irgendetwas ist schon damals verrutscht. Und heute? Heute werden Bauarbeiter zusammengeschlagen, weil ihre Baustelle notgedrungen eine Straßendurchfahrt blockiert. Wer weiß, wie oft der Schläger vorher sich über den schlechten Zustand der Straße beschwert hat. Ein Rettungswagen wurde unlängst demoliert, weil ein Autofahrer nicht ausparken konnte. Der gerufenen Polizei sagte der junge Mann: „Mir egal, wer da animiert wird. Ich muss zur Arbeit!“ „Wie verroht kann man sein?“, will man sich fragen. Aber ist das nicht eigentlich vielleicht nur die brutale Spitze eines Eisberges von Verrohung im gesellschaftlichen Umgang? Es sind Kleinigkeiten: man wird weniger gegrüßt auf der Straße, wenn man zuvor selbst „Guten Tag“ sagt. Es vergeht eigentlich keine Woche, in der meine Frau nicht wieder irgendeine Hammergeschichte vom Einkaufen erzählt. Dieses Mal war es eine ältere Dame die eine Seniorin im Rollstuhl samt Begleitung angepflaumt hat, sie sollen nicht so im Weg rumstehen. Dabei war sie erste gerade gekommen. Die gleiche wollte sich dann später an der Kasse auch noch vordrängeln. Dreistheit siegt? Hoffentlich nicht! Das Einparken macht auch immer wieder Freude. Da wirst du als jüngere Person angemotzt und weißt eigentlich oft nicht, warum? Oftmals sind das dann die gleichen, die ihren Großwagen gleich, auf zwei Plätze stellen, weil sie sonst zu viel zum Ausparken rangieren müssten. Fahrten mit der Straßenbahn machen auch immer wieder Freude. Anpampen gab es auch früher. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass das immer mehr wird. Vielleicht werde ich aber auch nur älter. Unlängst sind wir angehupt worden, weil wir aus einer vorfahrtsberechtigten Straße (rechts vor links) herausgefahren sind. Das Ganze garniert mit eindeutigen Gesten, wo ich dann immer dankbar bin, dass ich nicht 2 m groß und gewaltbereit bin. Manchmal ist man schon versucht, die Beherrschung zu verlieren. In Stuttgart im Landtag wiederum musste ich mich seit der letzten Wahl daran gewöhnen mit Menschen zusammen zu sitzen, die uns permanent beleidigen, als Volksverräter beschimpfen, den demokratischen Landtag mit den Nazis vergleichen, Frau Merkel als „Kanzlerinnendarstellerin“ verhöhnen und uns als Kartellparteien beleidigen. Gleichzeitig legen diese Personen aber keine Konzepte vor und zeichnen sich auch in der Arbeit vor Ort durch Abwesenheit aus. Also pampig im Parlament– pampig im Penny? Was tun? Meine Frau und ich haben jetzt beschlossen, dass wir uns aktiv zur Wehr setzen. Wir brauchen dringend eine „Neue Höflichkeit“. Seitdem grüßen wir deutlich wahrnehmbar alle Menschen, mögen sie uns auch noch so verschlossen entgegenkommen. Auch bleiben wir weiterhin höflich, halten die Tür auf oder lassen Menschen an der Kasse vor, die wenig haben. Auch versuche ich dran zu denken, mich mit dem Wagen nicht immer schnell durchzudrücken, sondern andere vorzulassen. Oder auch ausdrücklich daran zu denken, sich zu bedanken, falls man selber durchgelassen wird. Ich glaube fest daran, dass die schweigende Masse in unserem Land auch keine Lust am Motzen, Anpampen und Vordrängeln hat. Wir brauchen wieder einen zivilisierten, höflichen Umgang miteinander. Vielleicht ist das auch eine Antwort auf die Erfolge der Rechtspopulisten, die im Landtag zwar groß bei Beleidigungen, aber klein in der Arbeit sind. Respekt im Umgang – im Parlament, aber vor allem auch im Alltag. Das wünsche ich mir für meine Stadt. Lassen Sie uns Mut zum Anstand und zur Höflichkeit haben. Mit Willy Brandt möchte ich sagen „Wir sollten mehr Anstand wagen!"